KOLUMNE «ABPFIFF»
WAS UNS DIE EM LEHRT
anderer Spieler an dieser EM. Sein rasanter Aufstieg lässt sich allein an seinen Altersrekorden ablesen: Als 16-Jähriger wurde er zum jüngsten je bei einer EM eingesetzten Spieler – und am Tag nach seinem 17. Geburtstag auch der jüngste Europameister. Als Vergleich: der Portugiese Pepe ist 41, fünf Jahre älter als Deutschlands Bundestrainer Julian Nagelsmann. Pepes Alters- rekord ist allerdings gefährdet. Denn Cristiano Ronaldo hat an- gekündigt, dass er zumindest noch an der WM 2026 dabei sein wolle. Er wäre dann drei Wochen älter als sein langjähriger Nati- onalmannschafts-Kollege heute – und hätte endlich wieder einen neuen Rekord. Zu den EM-Erkenntnissen gehört also: die jüngs- ten Spieler werden immer jünger, die Ältesten immer älter. Es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis an einer EM- oder WM-Endrunde der Veteran mit seinem Enkel auflaufen wird (Ronaldo?). Bestätigt hat sich auch: Die vermeintlich kleinen Fussball-Natio- nen werden immer grösser: Man denke an die Georgier, die bei ihrer EM-Premiere mit engagiertem Spiel begeisterten und gar Portugal besiegten. Oder die Österreicher, die vor Frankreich und den Niederlanden Gruppensieger wurden. Oder die Schweizer… äääh, nein, uns Schweizer kann man nicht mehr zu den Kleinen zählen. Schliesslich haben wir uns in einem grossen Turnier zum 7. Mal in Folge für die K.o.-Phase qualifiziert. Das hat in Europa sonst nur Frankreich geschafft. Und hey, die Schweizer Fans in den Stadien und im Public Vie- wing – europameisterlich! In der Euphorie um Tore der National- mannschaft ist gar ein neuer Volkssport entstanden: Bierwerfen. Wieviel Gerstensaft da über den Köpfen anderer ausgeschüttet wurde – rekordverdächtig. Es ist aber nichts dagegen einzuwen- den, dass die Zuschauer auf den Aargauer Fussballplätzen das Bier wieder trinken werden. In diesem Sinne: Prost! Auf eine erfolgreiche Saison!
Spanien als hochverdienter Europameister, England als tragischer Verlierer. Abgesehen davon hat die Fussball-EM in Deutschland aber auch viele andere Erkenntnisse zu Tage gefördert. Bei kaum einem anderen Turnier sind die Spiele so lange spannend geblieben, sind die Entscheidungen so spät gefallen, oft in den Schlussminuten, oft in der Nachspielzeit. Man denke nur an Spaniens Siegtor im Final (86.), Englands Siegtreffer im Halbfinal (90.), vom Penaltyschiessen der Schweiz ganz zu schweigen. Im Fussball, das hat die EM eindrücklich bestätigt, liegen Glück und Unglück näher zusammen als anderswo. Vom Hero zum Zero – und umgekehrt – dauert es oft nur Sekundenbruchteile. Längerfristig aber zahlt sich harte Arbeit aus. Stellvertretend dafür drei Spieler, die an der EM Historisches schafften: Portugals Goalie Diogo Costa beispielsweise. Er ist in Rothrist im Aargau aufgewachsen – und hat im Achtelfinal gegen Slowenien alle drei Penaltys abgewehrt, was an einer EM noch keinem Torhüter gelungen ist. Oder Albaniens Stürmer Nedim Bajrami. Er spielte lange unauffällig bei den Zürcher Grasshoppers – und hat im ersten Gruppenspiel gegen Titelverteidiger Italien schon nach 23 Sekunden das 1:0 erzielt, das schnellste Tor in der Geschichte von EM-Endrunden. Oder unser Abwehrchef Manuel Akanji. Er verschoss gegen im Viertelfinal gegen England diesen so wichti- gen Penalty, wurde für seine herausragenden Leistungen an der EM aber ins Dreamteam der Uefa gewählt – als erster Schweizer Fussballer überhaupt. An seiner Seite im EM-Dreamteam steht übrigens der Spanier Marc Cucurella. Der Linksverteidiger mit der markanten Lockenmähne wurde von Griesgramen im Publikum bei jeder Aktion peinlich penetrant ausgepfiffen, bloss wegen eines umstrittenen Handspiels im Viertelfinal gegen Deutsch- land. Cucurella revanchierte sich auf seine Weise: Er leitete mit einer perfekten Vorlage Spaniens Siegtreffer ein. Überhaupt die Spanier: Wie haben sie uns begeistert, mit ihrer Spielfreude, mit ihren jungen unbekümmerten Spielern, mit Nico Williams auf dem linken und Lamine Yamal auf dem rechten Flügel. Yamal war die grosse Entdeckung der EM. Der Wunderknabe mit der Zahnspange erzielte nicht nur ein herrliches Tor im Halbfinal gegen Frankreich, er bereitete auch vier Treffer vor, mehr als jeder
Mac Huber (58) war von 1999 bis 2006 bei der Aargauer Zeitung als Redaktor verantwortlich für den Aargauer Fussball. Heute ist er für FIT FOR LIFE und andere Sportmagazine tätig.
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